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24. Flexible Arbeitszeiten für Betreuung einer Behinderten Tochter

Vorgestellt vom „Office of Equal Opportunities Ombudsperson” Litauen

Interviewte Person: Agne R., weiblich

Darstellungsform des Interviews: Zusammenfassung des Interviews durch den Autor / die Autorin sowie Originalzitate

In welchen Bereichen hat die Beschäftigte Unterstützung erhalten?

    • Betreuungsmöglichkeiten für Familien mit älteren Angehörigen oder Menschen mit Behinderung

    • Flexible Arbeitsregelungen

    • Schulungen / Wiedereingliederungsmaßnahmen für Beschäftigte, die nach einer längeren Familienphase wieder ins Berufsleben zurückkehren

Agne arbeitet seit 2007 als Vertriebsleiterin in dem Unternehmen „My Perfume“, das 29 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen vertreibt Körper- und Hautpflegeprodukte und ist bestrebt, eine gleichbleibend hohe Qualität und Wirksamkeit seiner Produkte zu gewährleisten. Diese Produkte werden aus den besten traditionellen ebenso wie neu entdeckten natürlichen Inhaltsstoffen hergestellt.

Agne hat drei Kinder, von denen das jüngste, eine 23jährige geistig behinderte Tochter, sie vor besondere Herausforderungen stellt. Agne ist alleinerziehend. Ihr Ehemann verließ sie, als sie von der geistigen Behinderung des Mädchens erfuhren. Hilfestellung erhält sie nur von ihrer ältesten Tochter, die sich allerdings auch um ihre eigene Familie kümmern muss. Agne arbeitete jahrelang als Buchhalterin in einem großen Schuhgeschäft. Ihre Vorgesetzten stellten sie eines Tages vor die Entscheidung „Arbeit oder Tochter“, weshalb sie das Unternehmen verlassen musste. Von 2004 bis April 2007 war sie nicht erwerbstätig. Sie berichtet von traurigen Erfahrungen: „In dieser Zeit musste ich feststellen, dass mich wegen meiner besonderen Situation niemand einstellen wollte, nicht einmal für Nachtarbeit. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass ich schon eine Weile arbeitslos war.“

Agne fährt fort: „Wenn man ein behindertes Kind hat, ist es schwieriger, bei der Arbeit immer zuverlässig zu sein. Unternehmen, insbesondere produzierende Betriebe, müssen jedoch wissen, dass sie sich auf ihre Beschäftigten verlassen können.“

Nachdem sie das Stellenangebot von „My Perfume“ erhalten hatte, bat sie um ein Mindestmaß an Flexibilität (einmal pro Woche eher gehen etc.) und versprach, alles zu tun, um diese Zeit wieder aufzuholen. Ihr Arbeitgeber brachte ihr viel Verständnis entgegen und einigte sich mit ihr auf eine sehr flexible Regelung. Außerdem bot er ihr an, ihre Tochter in das sogenannte „Elternzimmer“ – eine innovative Initiative des Arbeitgebers – mitzunehmen, damit sie und ihr Kind mehr Kontakt hätten und sich wohler fühlten.

Agne hatte erlebt, mit welcher Ablehnung andere Menschen auf die Behinderung ihres Kindes reagierten, und sie litt unter den neugierigen Blicken und Kommentaren, mit denen sie und ihr Kind in vielen Situationen konfrontiert waren. Daher befürchtete sie, die gleichen Reaktionen auch am Arbeitsplatz zu erleben. Agne sagt, dass die Gesellschaft andersartige Menschen nicht akzeptiert und ihnen keinen Raum lässt. Das hat sie als Mutter sehr geprägt, und sie hatte die allgemeine Vorstellung von dem, was als normal angesehen wird, übernommen. Dadurch verstärkte sich ihr Schamgefühl wegen der Andersartigkeit ihres Kindes, und sie vermied es, ihr Kind in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Seit sie bei „My Perfume“ arbeitet, hat für sie ein neues Leben begonnen. Sie hätte sich niemals vorgestellt, einen derart sensiblen, intelligenten und aufmerksamen Arbeitgeber zu finden. Das Unternehmen gewährte Agne nicht nur eine flexible Arbeitszeitregelung und zusätzliche gemeinsame Zeit mit der Tochter am Arbeitsplatz, sondern beschloss zudem, „Pflegegeld“ (Barzahlung) zu zahlen. Das Pflegegeld ist in Litauen die häufigste Art der sozialen Unterstützung. Darüber hinaus können Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersrente beziehen.

Agne erklärt, dass Privatunternehmen in Litauen zurzeit erste Schritte auf dem Weg zur Einführung einer familiengerechten Unternehmenspolitik einleiten. Diese Initiativen sollen das Bewusstsein für die soziale Verantwortung steigern, sie schaffen einen Mehrwert für die Firmen selbst, für das Land und für die Menschen, und regen Unternehmen an, Grundsätze der verantwortungsvollen Unternehmensführung in ihren Betrieben zu verankern.